Künstler der Möglichkeiten
Klaus Bittners Installationen, Land Art-Projekte und Objekte
Eugen El *
I
Bis 1987 arbeitete der Künstler Klaus Bittner ausschließlich in den Medien Malerei und Zeichnung. Nach dem Umzug in ein großes Atelier in Frankfurt am Main änderte sich seine Arbeitsweise grundlegend. Die Formate wurden größer, und es kamen Installationen, Land Art und Objekte dazu. 1989 gründete Bittner mit drei weiteren Künstlern die Gruppe »U4frAnkfurRT«, benannt nach der U-Bahnlinie, die den Stadtteil Bornheim mit der Frankfurter Innenstadt verbindet. »Draht zur Kunst« hieß die Eröffnungsschau der Künstlergruppe in Bittners Atelierräumen. Bis 2002 fanden jährlich drei bis vier thematische Ausstellungen statt. »U4frAnkfurRT« machte sich einen Namen. Die Ausstellungseröffnungen waren gut besucht, erzählt Bittner. Im Jahr 2007 erweiterte sich sein Œuvre durch Fotografie und Digital Art. Seit mehreren Jahrzehnten sind Bittners Atelierräume ein Ort zeitgenössischer künstlerischer Praxis. Dort wurde der kulturelle Aufbruch der Stadt mitgeprägt. Dort konzipierte und schuf Klaus Bittner zahlreiche Werkgruppen. Bis heute arbeitet er in den Räumen.
II
Der Künstler Klaus Bittner lässt sich nicht auf eine einfach wiedererkennbare Arbeitsweise und Motivik festlegen. Er verweigert sich einer »Individualmasche«.2 In Bezug auf sein Werk spricht Bittner stattdessen von ›variabler Reaktion‹: »Dieses Konzept verfolgt eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität. [...] Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, welche die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt.« So gesehen ist Klaus Bittner ein Künstler der Möglichkeiten. Was heißt das für seine Praxis? Bittner greift zum jeweils passenden Medium, das seiner Idee, seiner thematischen Konzeption entgegenkommt. Die Idee müsse umsetzbar sein, betont der Künstler.3 Er arbeitet oft installativ, ordnet vorgefundene oder bearbeitete Objekte und Situationen zu Arrangements an. Bittner bringt Alltagsgegenstände in einen künstlerischen Zusammenhang. Die Objekte treten dann meist in Mehrzahl auf, sie werden seriell verwendet. Kompositorisch ist ihnen ein ornamentaler Aspekt eigen. Gelegentlich ‹kommt› das Medium zu Bittner. Er entdeckt etwas, reagiert darauf situativ und spontan. Der Zufall spielt auch bei der Formfindung eine Rolle. Klaus Bittner arbeitet überdies in Ausstellungsräumen ebenso wie in der Landschaft. Bisweilen gestaltet er Elemente der Landschaft zu Kunst. Die hier skizzierten Aspekte von Klaus Bittners Installationen, Land Art-Projekten und Objekten werden im Folgenden anhand einer Werkauswahl vertieft.
III
Faltige Kohlensäcke bedecken den Boden des großen Kellerraums in der Berger Straße. In unüberschaubarer Anzahl ausgelegt, lassen sie lediglich einen schmalen Steg frei, durch den sich der Betrachter bewegen kann. Man dringt zum Gewölbekeller vor. Dort finden sich Dutzende weiße Gipsfüße. Sie sind statisch, und dennoch glaubt man, sie seien in Bewegung. Sie laufen Treppenstufen runter und hoch, sie bewegen sich scheinbar in einem stetig wiederkehrenden Rhythmus. Vor einem Objekt, das Klaus Bittner als ›Gottheit‹ beschreibt, machen sie kehrt. Ein Geräusch, das an tippelnde Füße erinnert, vervollständigt die »Todleben« betitelte, 1991 entstandene Installation. Es ist nicht das erste Mal, dass Bittner mit gleichartigen Objekten in großer Anzahl arbeitet. Das Serielle scheint er vielmehr zum Prinzip zu erheben. Bittner sagt, er tue dies bewusst, um durch Vervielfältigung eine neue Wirkung zu erzeugen.4
Den Gipsfüßen begegnet man im 2010 entstandenen Entwurf zur Installation »Moloch« wieder. In mehreren Reihen hintereinander aufgestellt, erinnert ihre Anordnung an eine marschbereite Armeeeinheit. Den weißen Gipsfüßen stehen, ebenfalls seriell angeordnet, schwarze LKW-Reifen gegenüber. Schwarz und weiß, Macht und Fragilität: Bittner greift zu einer dramatischen Metapher, um die Auswirkungen des weltweit zunehmenden Automobilverkehrs zu thematisieren. Dass die beiden sich gegenüberstehenden Elemente in einer Art Kriegszustand sind, ist genauso klar wie der Ausgang dieser Auseinandersetzung.
Im Haus der Kunst in Bages (Südfrankreich) realisierte Klaus Bittner 1998 »La Pyramide des Bouteilles«, eine Pyramide mit etwa dreihundert Mineralwasserflaschen aus Plastik. Hier verwendet er industriell hergestellte Objekte, denen von Anfang an Serialität innewohnt. In ihrer Anordnung bilden sie eine ornamentale Form. Der Kunstwissenschaftler Hans Zitko schreibt Ornamenten hohe Suggestivität zu: »Die in ihnen vorliegende Stilisierung der Formen (Symmetrie, Rapport usw.), vor allem die Wiederkehr ähnlicher oder identischer Versatzstücke übt einen Zwang auf den Wahrnehmenden aus.«5 Auch sei das Ornament ein Instrument zur Erzeugung von Ordnung und Struktur.6 Eine ornamentale Struktur mit einer Anordnung mehrerer ähnlicher Elemente findet sich auch in Klaus Bittners Installation »maskulin«, für die er 1997 über Jahre gesammelte Innendeckel von Herrenhemden verwendete. Die Variation der Elemente kennzeichnet diese Arbeit. Bittners Flaschenpyramide aus Bages spielt hingegen mit der Wiederkehr des Gleichen. Eine Wiederkehr, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, erlebte der Ansatz 2011, als der französische Künstler Cyprien Gaillard in den Berliner KW Kunst-Werken eine Pyramide aus Kisten mit 72.000 (zunächst vollen) Bierflaschen der türkischen Marke »Efes« installierte.7 Ein kulturell vielfach kodiertes Getränk steht auch im Mittelpunkt von Klaus Bittners und Peter Schäcks Projekt »Vernissage Frankfurt« aus dem Jahr 1994. Im Ausstellungsraum wurden in regelmäßiger Anordnung zahlreiche Säulenpodeste aufgestellt. Auf jedem Podest stand ein mit Apfelwein gefülltes Glas. Apfelwein gilt als Frankfurter Lokalgetränk schlechthin. Hinzu kommt, dass die Räume von »U4 frAnkfuRT« früher eine Apfelweinwirtschaft beherbergten. An den Wänden hingen »Brezelbilder«. Bittner ordnete die Backwaren zu gerahmten Serien aus jeweils neun Brezeln an. Auf einer anderen Wand zerlegte er die Brezeln in Einzelteile und schuf daraus zeichenhaft-figurative Objekte. Nach einer Performance waren die Besucher der Ausstellungseröffnung eingeladen, den Apfelwein und die Brezeln zu verzehren. Auch Cyprien Gaillard gab seine Berliner Bierpyramide zum Verzehr frei. Man kann in beiden Projekten eine augenzwinkernde Kritik an den Ritualen der Kunstwelt erkennen.
Auch spätere Installationen Bittners nehmen indirekt Praktiken prominenter zeitgenössischer Künstler vorweg. Zu Beginn der 2000er Jahre entstanden mehrere Varianten der »Stühle«. Bittner entdeckte in seinem Lagerraum Dutzende Holzstühle, die er über Jahre vom Sperrmüll gesammelt hatte. 2000 türmte Bittner die Stühle zu einem »Chaos Turm« auf. In seiner Form lässt er an Ai Weiweis »Bang«, den deutscher Beitrag im französischen Pavillon der Venedig-Biennale 2013, denken. Ai Weiwei ließ dafür in allen Teilen Chinas 886 traditionelle, dreibeinige Holzhocker zusammengetragen und fügte sie zu einer wuchernden Struktur zusammen.8 Für Klaus Bittner kamen die Stühle durch ein Zufallsereignis als künstlerisches Medium infrage. Ähnlich verhält es sich mit der Werkserie »Dachabdeckung« von 1996. Im Herbst des vorangegangenen Jahres wanderten diverse Komponenten des Dachs des Hauses in Frankfurt-Bornheim, das auch Bittners Atelier beherbergt, in einen Container. Bittner berichtet unter anderem von Platten, Balken, Blechen, Latten, Rinnen, Rohren, Haken, Ziegelsteinen und Schutt. Das Material nutzte Bittner für mehrere Installationen, Objekte und Bilder.
Ein Experiment mit dem Zufall9 spielt bei der Formfindung der Installation »Die Fässer laufen über« aus dem Jahr 1994 eine tragende Rolle. Klaus Bittner füllte flüssige, organische Rohstoffe aus einem Industrielabor in runde Blechkanister und rührte Rußpulver ein. Daraufhin verteilte Bittner in der Mischung eine Reaktionskomponente. Eine chemische Reaktion setzte ein. Die Flüssigkeit lief über und erstarrte schließlich zum festen Kunststoff. Es entstanden verschiedentlich variierende Formen. Bittner hat hier eine komplexe Versuchsanordnung aufgebaut. Der Kunsthistoriker Christian Janecke charakterisiert seine Rolle anhand eines ähnlichen Beispiels wie folgt: »Der Künstler ist eigentlich nur Zuschauer bzw. Handlanger bei seinem Experiment, welches durch jede Präferenz, jeden subjektiven Eingriff beeinträchtigt werden könnte.«10 Gleichwohl handelt es sich nicht um einen völlig unkontrollierten Vorgang. »Spiel und Experiment errichten Rahmenbedingungen, innerhalb derer Zufälliges zum Ausdruck gelangen kann«11, betont Janecke. Bittner gibt lediglich einen Teil des Ablaufs an den Zufall ab.
Ende der 1960er Jahre entsteht in den USA die Earth Art, in Europa als Land Art bezeichnet. Man arbeitet nicht nur in der Landschaft, sondern vielmehr mit der Landschaft: »Markierende, formende, bauende Eingriffe des Künstlers mit dem Gestaltungsmaterial Erde, Stein, Wasser etc. verändern den Landschaftsraum und strukturieren ihn neu [...].«12 Im Sommer 1995 hielt sich Klaus Bittner in Südfrankreich auf. In einem Waldstück fand er eine Ansammlung dicker, heller Kalksteine vor. Daraus entwickelte Bittner die Naturinstallation »Hommage-à-Bages«. Er ordnete die Steine zu einem vierteiligen Platz an, in dessen Mitte er auf einem Podest eine Art Stele platzierte. Kreis und Quadrat sind die vorherrschenden Formen dieser Arbeit. Es ist kein Zufall, dass Bittners Installation Assoziationen zu kultischen Aufbauten weckt: »Die rohen, unbehauenen Steine, welche in prähistorischen Kulturen als Objekte religiöser Verehrung, als Grabmal, Seelen- und Ahnenstein oder Kultplatz vorkommen, kann man als eine Urform der Plastik ansehen. Es genügte manchmal schon die Herauslösung, die Aufstellung, um den Stein als heilig auszuzeichnen, ihm Symbolcharakter zu verleihen.«13 Klaus Bittner greift solche Praktiken auf, indem er mithilfe vorgefundener Kalksteine einen Raum in der Landschaft formt. Indes war der Installation keine lange Lebensdauer beschieden. Nach neun Monaten wurde sie zerstört. Seit jeher ist Kunst im öffentlichen Raum einem unvorbereiteten Publikum ausgesetzt, das sich bisweilen nur mit Aggression zu behelfen weiß.
Anlässlich der Kunstmeile Bad Wildungen 2006 nahm sich Klaus Bittner der »Baumschicksale« an. Ziel des Projekts war eine symbolische Rückgabe des zur Nutzung und Weiterverarbeitung entwendeten Holzes an den Wald. Bittner stellte dazu eine würfelförmige, vergitterte Stahlbox auf. Die Box wurde mit verschiedenen Holzarten, in Würfeln à 50 x 50 cm geschichtet, gefüllt. Rundstämme, Schwarten, Bretter, Kantholz und weitere Hölzer kamen zum Einsatz. So entstand ein schachbrettartiges Muster. Auch die Formen der Holzstücke variieren. Bittner nutzt das Material als konstruktives Mittel. Die Installation zeichnet sich durch eine ausgeprägte formale Strenge aus. Zugleich verdeutlicht sie die gänzlich profane Rolle des Waldes als Reservoir für Nutzholz.
In Südfrankreich entstand über mehrere Jahre hinweg ein Projekt, mit dem Bittner die Baumthematik nochmals aufgriff. Jeden Winter wurden nach dem Schneiden des Platane-Muriel-Baums die abgeschnittenen Äste dem Baum für eine Woche symbolisch zurückgegeben. Gebündelt wurden sie auf dem Baumstamm gelegt. Die zerkleinerten Äste wurden daraufhin zu einer Boden-Installation angeordnet, in der das Viereck und die Kreisform dominieren. Im Projekt »Die Rückgabe« führt Bittner einen dankbaren Umgang mit der Natur mit gestalterischem Experiment zusammen.
IV
Bei weitem nicht alle Installationen, Land Art-Projekte und Objekte Klaus Bittners konnten Eingang in diese kurze Betrachtung finden. An den besprochenen Beispielen sollten die Bittners Projekten zugrunde liegenden künstlerischen Prinzipien exemplarisch deutlich werden. Auf den folgenden Seiten findet sich eine ausführliche Auflistung der Installationen, Land Art-Projekte und Objekte. Begleitet werden die Werkabbildungen von kurzen Texten, die Bittner selbst verfasst hat. Die Texte changieren zwischen technischer Beschreibung, Konzept und thematischem Kurzessay. Darin zeigt sich Klaus Bittner als ein gelehrter, reflektierender Künstler. Ob Kritik an einem selbstreferentiellen Kunstbetrieb, an der Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder am zunehmenden Autoverkehr: Bittners Themenwahl weist ihn als einen kritischen Zeitgenossen aus. Seine Werke sind deshalb aber nicht ‹inhaltistisch›. Sie sind keine Träger plakativer Aussagen, sondern formal eigenständige Setzungen. Auch philosophische und überzeitliche Fragestellungen finden Eingang in Bittners Œuvre. Als Künstler der Möglichkeiten arbeitet Klaus Bittner schließlich an weiteren, an dieser Stelle noch nicht erwähnten Werkgruppen. Sein malerisches und zeichnerisches Werk, seine Fotografien und die Reihe »Digital-Art« sind Gegenstand der folgenden Bände.
* Eugen El (geb. 1984 in Minsk) studierte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Er lebt und arbeitet als freier Journalist und Künstler in Frankfurt am Main.
1 Gespräch mit Klaus Bittner, 15.12.2015 (Im Folgenden: Gespräch KB 2015)
2 Vgl. Janecke, Christian: Maschen der Kunst. Springe 2011, S. 17-18
3 Gespräch KB 2015
4 Ebd.
5 Zitko, Hans: »Rationalisierung im Dienste der Tradition. Ornament und Serie in der Kunst der Moderne.« In: Ornament und Abstraktion. Ausst.-Kat. Fondation Beyeler 2001 (Im Folgenden: Zitko 2001), S. 59.
6 Zitko 2001, S. 57
7 Vgl. www.kw-berlin.de/de/exhibitions/cyprien_gaillard_the_recovery_of_discovery_63, abgerufen am 5.1.2016
8 Vgl. www.deutscher-pavillon.org/2013/ai-weiwei-venedig-2013/, abgerufen am 5.1.2016
9 Vgl. Janecke, Christian: Kunst und Zufall. Analyse und Bedeutung. Nürnberg 1995, S. 97-128. (Im Folgenden: Janecke 1995)
10 Janecke 1995, S. 116.
11 Janecke 1995, S. 125.
12 Kunsthalle Bielefeld (Hg.); Concept Art, Minimal Art, Arte Povera, Land Art. Sammlung Marzona. Bielefeld 1990, S. 264. Zit. nach: Weilacher, Udo: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art. Basel 1996 (Im Folgenden: Weilacher 1996), S. 11.
13 Billeter, Erika in: Kunsthaus Zürich (Hg.): Mythos und Ritual in der Kunst der siebziger Jahre, Zürich 1981, S. 21. Zit. nach: Weilacher 1996, S. 17.ion Sample Description
Klaus Bittners Installationen, Land Art-Projekte und Objekte
Eugen El *
I
Bis 1987 arbeitete der Künstler Klaus Bittner ausschließlich in den Medien Malerei und Zeichnung. Nach dem Umzug in ein großes Atelier in Frankfurt am Main änderte sich seine Arbeitsweise grundlegend. Die Formate wurden größer, und es kamen Installationen, Land Art und Objekte dazu. 1989 gründete Bittner mit drei weiteren Künstlern die Gruppe »U4frAnkfurRT«, benannt nach der U-Bahnlinie, die den Stadtteil Bornheim mit der Frankfurter Innenstadt verbindet. »Draht zur Kunst« hieß die Eröffnungsschau der Künstlergruppe in Bittners Atelierräumen. Bis 2002 fanden jährlich drei bis vier thematische Ausstellungen statt. »U4frAnkfurRT« machte sich einen Namen. Die Ausstellungseröffnungen waren gut besucht, erzählt Bittner. Im Jahr 2007 erweiterte sich sein Œuvre durch Fotografie und Digital Art. Seit mehreren Jahrzehnten sind Bittners Atelierräume ein Ort zeitgenössischer künstlerischer Praxis. Dort wurde der kulturelle Aufbruch der Stadt mitgeprägt. Dort konzipierte und schuf Klaus Bittner zahlreiche Werkgruppen. Bis heute arbeitet er in den Räumen.
II
Der Künstler Klaus Bittner lässt sich nicht auf eine einfach wiedererkennbare Arbeitsweise und Motivik festlegen. Er verweigert sich einer »Individualmasche«.2 In Bezug auf sein Werk spricht Bittner stattdessen von ›variabler Reaktion‹: »Dieses Konzept verfolgt eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität. [...] Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, welche die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt.« So gesehen ist Klaus Bittner ein Künstler der Möglichkeiten. Was heißt das für seine Praxis? Bittner greift zum jeweils passenden Medium, das seiner Idee, seiner thematischen Konzeption entgegenkommt. Die Idee müsse umsetzbar sein, betont der Künstler.3 Er arbeitet oft installativ, ordnet vorgefundene oder bearbeitete Objekte und Situationen zu Arrangements an. Bittner bringt Alltagsgegenstände in einen künstlerischen Zusammenhang. Die Objekte treten dann meist in Mehrzahl auf, sie werden seriell verwendet. Kompositorisch ist ihnen ein ornamentaler Aspekt eigen. Gelegentlich ‹kommt› das Medium zu Bittner. Er entdeckt etwas, reagiert darauf situativ und spontan. Der Zufall spielt auch bei der Formfindung eine Rolle. Klaus Bittner arbeitet überdies in Ausstellungsräumen ebenso wie in der Landschaft. Bisweilen gestaltet er Elemente der Landschaft zu Kunst. Die hier skizzierten Aspekte von Klaus Bittners Installationen, Land Art-Projekten und Objekten werden im Folgenden anhand einer Werkauswahl vertieft.
III
Faltige Kohlensäcke bedecken den Boden des großen Kellerraums in der Berger Straße. In unüberschaubarer Anzahl ausgelegt, lassen sie lediglich einen schmalen Steg frei, durch den sich der Betrachter bewegen kann. Man dringt zum Gewölbekeller vor. Dort finden sich Dutzende weiße Gipsfüße. Sie sind statisch, und dennoch glaubt man, sie seien in Bewegung. Sie laufen Treppenstufen runter und hoch, sie bewegen sich scheinbar in einem stetig wiederkehrenden Rhythmus. Vor einem Objekt, das Klaus Bittner als ›Gottheit‹ beschreibt, machen sie kehrt. Ein Geräusch, das an tippelnde Füße erinnert, vervollständigt die »Todleben« betitelte, 1991 entstandene Installation. Es ist nicht das erste Mal, dass Bittner mit gleichartigen Objekten in großer Anzahl arbeitet. Das Serielle scheint er vielmehr zum Prinzip zu erheben. Bittner sagt, er tue dies bewusst, um durch Vervielfältigung eine neue Wirkung zu erzeugen.4
Den Gipsfüßen begegnet man im 2010 entstandenen Entwurf zur Installation »Moloch« wieder. In mehreren Reihen hintereinander aufgestellt, erinnert ihre Anordnung an eine marschbereite Armeeeinheit. Den weißen Gipsfüßen stehen, ebenfalls seriell angeordnet, schwarze LKW-Reifen gegenüber. Schwarz und weiß, Macht und Fragilität: Bittner greift zu einer dramatischen Metapher, um die Auswirkungen des weltweit zunehmenden Automobilverkehrs zu thematisieren. Dass die beiden sich gegenüberstehenden Elemente in einer Art Kriegszustand sind, ist genauso klar wie der Ausgang dieser Auseinandersetzung.
Im Haus der Kunst in Bages (Südfrankreich) realisierte Klaus Bittner 1998 »La Pyramide des Bouteilles«, eine Pyramide mit etwa dreihundert Mineralwasserflaschen aus Plastik. Hier verwendet er industriell hergestellte Objekte, denen von Anfang an Serialität innewohnt. In ihrer Anordnung bilden sie eine ornamentale Form. Der Kunstwissenschaftler Hans Zitko schreibt Ornamenten hohe Suggestivität zu: »Die in ihnen vorliegende Stilisierung der Formen (Symmetrie, Rapport usw.), vor allem die Wiederkehr ähnlicher oder identischer Versatzstücke übt einen Zwang auf den Wahrnehmenden aus.«5 Auch sei das Ornament ein Instrument zur Erzeugung von Ordnung und Struktur.6 Eine ornamentale Struktur mit einer Anordnung mehrerer ähnlicher Elemente findet sich auch in Klaus Bittners Installation »maskulin«, für die er 1997 über Jahre gesammelte Innendeckel von Herrenhemden verwendete. Die Variation der Elemente kennzeichnet diese Arbeit. Bittners Flaschenpyramide aus Bages spielt hingegen mit der Wiederkehr des Gleichen. Eine Wiederkehr, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, erlebte der Ansatz 2011, als der französische Künstler Cyprien Gaillard in den Berliner KW Kunst-Werken eine Pyramide aus Kisten mit 72.000 (zunächst vollen) Bierflaschen der türkischen Marke »Efes« installierte.7 Ein kulturell vielfach kodiertes Getränk steht auch im Mittelpunkt von Klaus Bittners und Peter Schäcks Projekt »Vernissage Frankfurt« aus dem Jahr 1994. Im Ausstellungsraum wurden in regelmäßiger Anordnung zahlreiche Säulenpodeste aufgestellt. Auf jedem Podest stand ein mit Apfelwein gefülltes Glas. Apfelwein gilt als Frankfurter Lokalgetränk schlechthin. Hinzu kommt, dass die Räume von »U4 frAnkfuRT« früher eine Apfelweinwirtschaft beherbergten. An den Wänden hingen »Brezelbilder«. Bittner ordnete die Backwaren zu gerahmten Serien aus jeweils neun Brezeln an. Auf einer anderen Wand zerlegte er die Brezeln in Einzelteile und schuf daraus zeichenhaft-figurative Objekte. Nach einer Performance waren die Besucher der Ausstellungseröffnung eingeladen, den Apfelwein und die Brezeln zu verzehren. Auch Cyprien Gaillard gab seine Berliner Bierpyramide zum Verzehr frei. Man kann in beiden Projekten eine augenzwinkernde Kritik an den Ritualen der Kunstwelt erkennen.
Auch spätere Installationen Bittners nehmen indirekt Praktiken prominenter zeitgenössischer Künstler vorweg. Zu Beginn der 2000er Jahre entstanden mehrere Varianten der »Stühle«. Bittner entdeckte in seinem Lagerraum Dutzende Holzstühle, die er über Jahre vom Sperrmüll gesammelt hatte. 2000 türmte Bittner die Stühle zu einem »Chaos Turm« auf. In seiner Form lässt er an Ai Weiweis »Bang«, den deutscher Beitrag im französischen Pavillon der Venedig-Biennale 2013, denken. Ai Weiwei ließ dafür in allen Teilen Chinas 886 traditionelle, dreibeinige Holzhocker zusammengetragen und fügte sie zu einer wuchernden Struktur zusammen.8 Für Klaus Bittner kamen die Stühle durch ein Zufallsereignis als künstlerisches Medium infrage. Ähnlich verhält es sich mit der Werkserie »Dachabdeckung« von 1996. Im Herbst des vorangegangenen Jahres wanderten diverse Komponenten des Dachs des Hauses in Frankfurt-Bornheim, das auch Bittners Atelier beherbergt, in einen Container. Bittner berichtet unter anderem von Platten, Balken, Blechen, Latten, Rinnen, Rohren, Haken, Ziegelsteinen und Schutt. Das Material nutzte Bittner für mehrere Installationen, Objekte und Bilder.
Ein Experiment mit dem Zufall9 spielt bei der Formfindung der Installation »Die Fässer laufen über« aus dem Jahr 1994 eine tragende Rolle. Klaus Bittner füllte flüssige, organische Rohstoffe aus einem Industrielabor in runde Blechkanister und rührte Rußpulver ein. Daraufhin verteilte Bittner in der Mischung eine Reaktionskomponente. Eine chemische Reaktion setzte ein. Die Flüssigkeit lief über und erstarrte schließlich zum festen Kunststoff. Es entstanden verschiedentlich variierende Formen. Bittner hat hier eine komplexe Versuchsanordnung aufgebaut. Der Kunsthistoriker Christian Janecke charakterisiert seine Rolle anhand eines ähnlichen Beispiels wie folgt: »Der Künstler ist eigentlich nur Zuschauer bzw. Handlanger bei seinem Experiment, welches durch jede Präferenz, jeden subjektiven Eingriff beeinträchtigt werden könnte.«10 Gleichwohl handelt es sich nicht um einen völlig unkontrollierten Vorgang. »Spiel und Experiment errichten Rahmenbedingungen, innerhalb derer Zufälliges zum Ausdruck gelangen kann«11, betont Janecke. Bittner gibt lediglich einen Teil des Ablaufs an den Zufall ab.
Ende der 1960er Jahre entsteht in den USA die Earth Art, in Europa als Land Art bezeichnet. Man arbeitet nicht nur in der Landschaft, sondern vielmehr mit der Landschaft: »Markierende, formende, bauende Eingriffe des Künstlers mit dem Gestaltungsmaterial Erde, Stein, Wasser etc. verändern den Landschaftsraum und strukturieren ihn neu [...].«12 Im Sommer 1995 hielt sich Klaus Bittner in Südfrankreich auf. In einem Waldstück fand er eine Ansammlung dicker, heller Kalksteine vor. Daraus entwickelte Bittner die Naturinstallation »Hommage-à-Bages«. Er ordnete die Steine zu einem vierteiligen Platz an, in dessen Mitte er auf einem Podest eine Art Stele platzierte. Kreis und Quadrat sind die vorherrschenden Formen dieser Arbeit. Es ist kein Zufall, dass Bittners Installation Assoziationen zu kultischen Aufbauten weckt: »Die rohen, unbehauenen Steine, welche in prähistorischen Kulturen als Objekte religiöser Verehrung, als Grabmal, Seelen- und Ahnenstein oder Kultplatz vorkommen, kann man als eine Urform der Plastik ansehen. Es genügte manchmal schon die Herauslösung, die Aufstellung, um den Stein als heilig auszuzeichnen, ihm Symbolcharakter zu verleihen.«13 Klaus Bittner greift solche Praktiken auf, indem er mithilfe vorgefundener Kalksteine einen Raum in der Landschaft formt. Indes war der Installation keine lange Lebensdauer beschieden. Nach neun Monaten wurde sie zerstört. Seit jeher ist Kunst im öffentlichen Raum einem unvorbereiteten Publikum ausgesetzt, das sich bisweilen nur mit Aggression zu behelfen weiß.
Anlässlich der Kunstmeile Bad Wildungen 2006 nahm sich Klaus Bittner der »Baumschicksale« an. Ziel des Projekts war eine symbolische Rückgabe des zur Nutzung und Weiterverarbeitung entwendeten Holzes an den Wald. Bittner stellte dazu eine würfelförmige, vergitterte Stahlbox auf. Die Box wurde mit verschiedenen Holzarten, in Würfeln à 50 x 50 cm geschichtet, gefüllt. Rundstämme, Schwarten, Bretter, Kantholz und weitere Hölzer kamen zum Einsatz. So entstand ein schachbrettartiges Muster. Auch die Formen der Holzstücke variieren. Bittner nutzt das Material als konstruktives Mittel. Die Installation zeichnet sich durch eine ausgeprägte formale Strenge aus. Zugleich verdeutlicht sie die gänzlich profane Rolle des Waldes als Reservoir für Nutzholz.
In Südfrankreich entstand über mehrere Jahre hinweg ein Projekt, mit dem Bittner die Baumthematik nochmals aufgriff. Jeden Winter wurden nach dem Schneiden des Platane-Muriel-Baums die abgeschnittenen Äste dem Baum für eine Woche symbolisch zurückgegeben. Gebündelt wurden sie auf dem Baumstamm gelegt. Die zerkleinerten Äste wurden daraufhin zu einer Boden-Installation angeordnet, in der das Viereck und die Kreisform dominieren. Im Projekt »Die Rückgabe« führt Bittner einen dankbaren Umgang mit der Natur mit gestalterischem Experiment zusammen.
IV
Bei weitem nicht alle Installationen, Land Art-Projekte und Objekte Klaus Bittners konnten Eingang in diese kurze Betrachtung finden. An den besprochenen Beispielen sollten die Bittners Projekten zugrunde liegenden künstlerischen Prinzipien exemplarisch deutlich werden. Auf den folgenden Seiten findet sich eine ausführliche Auflistung der Installationen, Land Art-Projekte und Objekte. Begleitet werden die Werkabbildungen von kurzen Texten, die Bittner selbst verfasst hat. Die Texte changieren zwischen technischer Beschreibung, Konzept und thematischem Kurzessay. Darin zeigt sich Klaus Bittner als ein gelehrter, reflektierender Künstler. Ob Kritik an einem selbstreferentiellen Kunstbetrieb, an der Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder am zunehmenden Autoverkehr: Bittners Themenwahl weist ihn als einen kritischen Zeitgenossen aus. Seine Werke sind deshalb aber nicht ‹inhaltistisch›. Sie sind keine Träger plakativer Aussagen, sondern formal eigenständige Setzungen. Auch philosophische und überzeitliche Fragestellungen finden Eingang in Bittners Œuvre. Als Künstler der Möglichkeiten arbeitet Klaus Bittner schließlich an weiteren, an dieser Stelle noch nicht erwähnten Werkgruppen. Sein malerisches und zeichnerisches Werk, seine Fotografien und die Reihe »Digital-Art« sind Gegenstand der folgenden Bände.
* Eugen El (geb. 1984 in Minsk) studierte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Er lebt und arbeitet als freier Journalist und Künstler in Frankfurt am Main.
1 Gespräch mit Klaus Bittner, 15.12.2015 (Im Folgenden: Gespräch KB 2015)
2 Vgl. Janecke, Christian: Maschen der Kunst. Springe 2011, S. 17-18
3 Gespräch KB 2015
4 Ebd.
5 Zitko, Hans: »Rationalisierung im Dienste der Tradition. Ornament und Serie in der Kunst der Moderne.« In: Ornament und Abstraktion. Ausst.-Kat. Fondation Beyeler 2001 (Im Folgenden: Zitko 2001), S. 59.
6 Zitko 2001, S. 57
7 Vgl. www.kw-berlin.de/de/exhibitions/cyprien_gaillard_the_recovery_of_discovery_63, abgerufen am 5.1.2016
8 Vgl. www.deutscher-pavillon.org/2013/ai-weiwei-venedig-2013/, abgerufen am 5.1.2016
9 Vgl. Janecke, Christian: Kunst und Zufall. Analyse und Bedeutung. Nürnberg 1995, S. 97-128. (Im Folgenden: Janecke 1995)
10 Janecke 1995, S. 116.
11 Janecke 1995, S. 125.
12 Kunsthalle Bielefeld (Hg.); Concept Art, Minimal Art, Arte Povera, Land Art. Sammlung Marzona. Bielefeld 1990, S. 264. Zit. nach: Weilacher, Udo: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art. Basel 1996 (Im Folgenden: Weilacher 1996), S. 11.
13 Billeter, Erika in: Kunsthaus Zürich (Hg.): Mythos und Ritual in der Kunst der siebziger Jahre, Zürich 1981, S. 21. Zit. nach: Weilacher 1996, S. 17.ion Sample Description
Die Variable Reaktion
Klaus Bittner
Die ›Variable Reaktion‹ ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Sie richtet sich gegen ästhetische Erstarrung, das Verharren auf einer Position und den Identitätszwang des Marktes. Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Die ›Variable Reaktion‹ versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg, der der Perfektionierung entgegensteht.
1. Kunsterfahrung oder Bestätigung des Vorausgedachten?
Wahre Kunsterfahrung ist eine höchst reflektierte und empfindsame Aktivität. Es ist eine Art Erkenntnislust, die sich nur auf das Werk selbst bezieht und nicht auf die Person des Schöpfers. Dabei geht es nicht um den gesellschaftlich eingeübten Kunstgenuss, der nur auf Wiedererkennen und Geschmacksbestätigung aus ist, um sich des Kunstwerks zu bemächtigen. Man erfährt, was man schon weiß. Man will gar nichts anderes erfahren, und man genießt diese Begegnung als eine, die einen nicht umstößt, sondern auf welke Weise bestätigt.
Diese Bestätigung läuft immer sehr eng mit der Person des Künstlers einher. Man erkennt ihn und seine Art zu arbeiten wieder und kann getrost abhaken. Wenn der Künstler seine Arbeit mit einem Wiedererkennungscharakter versieht, tut er nichts anderes, als diese schale Bestätigung hervorzurufen. Er verführt den Betrachter zur schnellen Akzeptanz.
Von diesem Prozess lebt der gesamte Kunstmarkt. Wiedererkennen ist das A und O der Vermarktung. Hier geht es nicht um den Gehalt einer Arbeit, unabhängig von der Person des Schöpfers, sondern um den Verkauf eines Markenzeichens, eines Personalstils, eines Künstlernamens.
Letztendlich ist die Markenzeichenkunst eine Folge zweier Fehlentwicklungen, die sich gegenseitig bedingen. Der Künstler steht unter dem Zwang, sein unverwechselbares Markenzeichen aufzubauen, um vom Markt erkannt zu werden. Der Markt wiederum stellt an den Künstler die Forderung eines Personalstils, der dann beibehalten werden soll, getreu nach dem Motto: »Schuster, bleib bei deinen Leisten – dann nehme ich dich ernst, denn mein Publikum möchte dich wiedererkennen und nicht verunsichert werden, da Letzteres den Verkauf behindert«.
2. Kunst als Markenzeichen
Es gibt heute kein Kunstwerk mehr ohne den Diskurs der Kritiken, ohne eine Werbestrategie. Letztendlich ist Kunst etwas, das durch Deklaration entsteht, d.h. Kritiker, Museumsleute und Galeristen ernennen etwas zur Kunst oder nicht.
Die Folge ist, dass viele Künstler taktieren und sich Strategien zulegen, um Anerkennung zu finden. So hat Kunst sich zur Betriebskunst gewandelt. Die Künstler produzieren für ein Fachpublikum und auf eine Kennerschaft hin. Das geht soweit, dass in vielen Arbeiten schon die Werbestrategien der Schöpfer zu erkennen sind.
In einer Zeit des ›anything goes‹, des Überangebots an künstlerischen Hervorbringungen, verspüren viele Künstler den Hang, sich ein unverwechselbares Markenzeichen zuzulegen, das dann vom Fachpublikum leichter bemerkt werden kann. Dahinter steht die Hoffnung, sich über den Wiedererkennungseffekt dauernd in Erinnerung zu rufen, um endlich im Markt angenommen zu werden. Hier hat der Schöpfer des Werkes eindeutig den experimentellen Weg der Kunst verlassen – zugunsten des Erfolges im Markt.
Die Methode ist immer die gleiche. Indem ein Künstler »seine einmalige Idee« laufend kopiert, versucht er seine Arbeit zum Markenzeichen hochzustilisieren. Dieser Prozess macht ihn zum Fachidioten seiner Idee. Er beschränkt seine Phantasie und Kreativität nur noch auf die Perfektionierung seines Einfalls, was mit Kunst nichts mehr zu tun hat. Sein einziges Ziel ist die Akzeptanz im Kunstmarkt, wo der Wiedererkennungswert der Werke (Markenzeichen) im Zusammenhang mit dem Namen der Künstlerperson an erster Stelle gefragt ist. Die Verkaufsstrategien laufen dann nur noch über den Namen und nicht über die Qualität der Arbeit.
Der Kunstmarkt wählt somit unbewusst die »Nicht-Künstler« unter den Künstlern aus. Kriterium ist das Prinzip des »sich treu bleiben« in seinem Personalstil. »Schuster, bleib bei deinen Leisten« heißt die Devise. Das nicht-kreative und damit nicht-künstlerische Konzept der laufenden Wiederholung eines persönlichen Markenzeichens dient als Auswahlkriterium, weil der Wiedererkennungswert für den Verkauf an erster Stelle steht.
Leider haben sich die Museen und großen Kunstvereine dieser Praxis angeschlossen, so dass heute nur noch die Künstlerpersonen gefeiert werden. Das Werk ist zur Nebensache verkommen. Es spricht nicht mehr für sich selbst, sondern dient der Erkennbarkeit des Schöpfers.
3. Die dauernde Wiederholung einer dünnen Idee – Kunst als Masche
In den Überschneidungszonen der großen künstlerischen Entwürfe der Neuzeit sind noch Lücken vorhanden. Lücken, die bewusst nicht bearbeitet wurden, weil sie für die zu machenden Aussagen nicht geeignet schienen oder im Tempo der Kunstinnovation übersehen wurden. Da es heute in der Bildenden Kunst keine Aussicht mehr auf etwas absolut Neues gibt, wird aus Frustration der Blick gerne zurückgeworfen und fällt dann auf diese unbearbeiteten Stellen. Sie werden bevorzugt von Künstlern besetzt, die darin eine Marktlücke erspäht zu haben glauben.
Der Blick auf diese Lücke, die Möglichkeit damit ein Markenzeichen zu kreieren, verhindert den Prozess der Auseinandersetzung darüber, ob diese Lücke überhaupt künstlerisch tauglich ist und einem aktuellen persönlichen Anliegen entspricht. Die Entdeckerfreude und die Aussicht auf Erfolg sind stärker, als die Lust an der Weiterentwicklung. Heerscharen von Künstlern reiten auf dieser Masche und versuchen damit ihr Glück – ein trügerisches Glück. Dabei handelt es sich nicht um die notwendige Durcharbeitung eines Themas, sondern um den einfallslosen Prozess der ewigen Wiederholung einer Idee zum Markenzeichen, um endlich im Markt angenommen zu werden. Aus Angst, nicht mehr glaubwürdig zu sein, wird diese Position dann nicht mehr verlassen, womit eine echte künstlerische Entwicklung verhindert wird.
Diese risikolose Haltung lähmt alles Subversive, sie stellt nichts mehr in Frage, notwendige Fehler, aus denen gelernt werden kann, kommen nicht mehr vor.
4. Zur Situation der Künstler
Es herrscht Mobilität bei gleichzeitigem Zögern. Die Künstler schwanken zwischen einem Gefühl von Gewinn und Verlust. Auf der einen Seite gab es noch nie solchen Reichtum an Möglichkeiten, andererseits hat diese Freiheit eine Steigerung der Beliebigkeit zur Folge und führt oft in eine Ästhetik des Banalen.
Der Überfluss an Kunst zwingt den Künstler zu seltsamen Verrenkungen. Er muss sich einem dauernden Zeigezwang unterwerfen, um Anerkennung für sein Werk zu finden und diese aufrechtzuerhalten. So sieht er sich in einer unentwirrbaren Falle gefangen. Er hat nur noch die Wahl zwischen selbstmörderischer Griesgrämigkeit oder wirtschaftlichem Erfolg, zwischen einer Verweigerungshaltung gegenüber dem Markt oder einem Mitläufertum. Er sieht sich gezwungen den Werbestrategien zu beugen und fühlt gleichzeitig den Verrat an der Kunst selbst.
Um die Arbeit vor zerstörerischen Marktmechanismen zu schützen und ihren Freiraum zu bewahren, scheint es deshalb immer wichtiger zu werden, dass Künstler ihre finanzielle Basis auf andere Beine stellen, als die des Kunstmarktes.
Um Kunst und Markt zu entflechten, müsste über völlig neue Wege von Kunstvermittlung nachgedacht werden. Wege, die andere Möglichkeiten der Finanzierung von Kunst aufzeigen. So könnte ein Freiraum entstehen, der dem Künstler die Zeit gibt, über sich selbst und seine eigene Arbeit nachdenken zu können. Der Künstler könnte sich den gesellschaftlichen Verwertungszwängen entziehen, ohne unproduktiv zu werden.
Es geht also nicht darum, die eigene Arbeit marktgerecht zu platzieren, sondern um den generellen Fortschritt der Kunst. Dieser ist nur möglich, wenn der Künstler sich zuallererst um die Zufriedenheit mit dem eigenen Produkt bemüht und nicht primär auf Markterfolge schielt, denn letzteres bedeutet immer eine Entfremdung gegenüber dem Produkt der eigenen Arbeit.
5. Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹
Schon der Ahnherr der modernen Materialkunst Marcel Duchamp forderte, dass man ein künstlerisches Prinzip nicht fortwährend wiederholen und zur Masche werden lassen solle. Das nehme ihm die kritische Kraft und kehre es in sein Gegenteil um. Und denkt man das weiter, scheint Duchamps Philosophie tatsächlich die einzige Chance zu sein, um zu verhindern, dass die Produktion von Kunstwerken ähnlich explodiert wie die der Warenwelt, und schließlich als Einwegverpackung auf der Halde landet.
In einer Zeit der schnellen Veränderung in allen Lebensbereichen mag zwar der Wunsch aufkommen, etwas Einmaliges und Unverwechselbares in die Welt zu setzen, jedoch ist dies der falsche Versuch, der keine Antworten gibt auf die jeweiligen Verhältnisse. Kunst ist ein Weg und nicht das Verharren auf einer Position.
Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹ ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Es beinhaltet ganz bewusst die Freiheit, Fehler zu machen und ein Risiko einzugehen, um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Es ist gegen ästhetische Erstarrung gerichtet und verabscheut den Identitätszwang des Marktes. Seine Triebfeder ist nicht die Aussicht auf Erfolg, sondern die Einsicht in den Sinn der künstlerischen Arbeit.
Im Zeitalter der Simulation an einem lebenslang gereiften Personalstil festzuhalten ist unzeitgemäß. Nicht das fortwährende Wiederholen einer Idee, nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert ist das Ziel, sondern visuelle Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Dieses Prinzip versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg. Es ist auch als künstlerisches Werkzeug zu verstehen, das der Perfektionierung entgegensteht.
Am Anfang steht immer eine aktuelle Situation oder ein Thema, das beim Künstler eine gedankliche Reaktion auslöst. Je nach künstlerischem Werdegang, Lebenslauf und Alter der Künstlerperson wird diese Reaktion verschieden (variabel) sein und zu unterschiedlichen Ideen führen. Entscheidend ist, dass die Ideen zugelassen werden und nicht durch äußere Zwänge beiseite geschoben werden. Die Verwirklichung einer künstlerischen Idee fordert eine schöpferische Antwort. Nur wenn die richtigen Mittel zur Umsetzung gefunden werden, kann die Idee sichtbar werden. Der Künstler ist also gezwungen, experimentell voranzugehen, d.h. mit unterschiedlichen Materialien und Medien zu operieren, bis er mit dem Produkt seiner Arbeit zufrieden ist. Diese Zufriedenheit darf nicht durch äußere Einflüsse aus dem Markt beeinträchtigt werden.
Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹ braucht als Basis die Bereitschaft dem Heterogenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die lebbare Chance, ohne Angst verschieden sein zu können. Es dient der Abgrenzung vom allzu Stromlinienförmigen im Kunstmarktgeschehen und soll dem Zwang zur Per- fektion des Angepassten entgegenstehen.
Um dieses Konzept mit Leben zu erfüllen, ist es sinnvoll, allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ausgewählte aktuelle Themen zu bearbeiten, um dann das Ergebnis der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Unterschiedlichkeit der Themen zwingt die Künstler variabel zu reagieren, d.h. mit verschiedenen Ideen, Materialien und Medien zu operieren. Es kann Bild, Ton, Objekt, Performance, Installation etc. sein. Solch interdisziplinäre Arbeit dient sowohl der Weiterentwicklung des Künstlers, als auch dem generellen Fortschritt der Kunst. Sie hilft, eine ästhetische Erstarrung zu verhindern.
Das Ziel ist, zwischen den Stühlen zu tanzen und nicht auf ihnen zu sitzen. Für den kunstinteressierten Besucher soll immer ein Überraschungsmoment erhalten bleiben.
Klaus Bittner
Die ›Variable Reaktion‹ ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Sie richtet sich gegen ästhetische Erstarrung, das Verharren auf einer Position und den Identitätszwang des Marktes. Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Die ›Variable Reaktion‹ versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg, der der Perfektionierung entgegensteht.
1. Kunsterfahrung oder Bestätigung des Vorausgedachten?
Wahre Kunsterfahrung ist eine höchst reflektierte und empfindsame Aktivität. Es ist eine Art Erkenntnislust, die sich nur auf das Werk selbst bezieht und nicht auf die Person des Schöpfers. Dabei geht es nicht um den gesellschaftlich eingeübten Kunstgenuss, der nur auf Wiedererkennen und Geschmacksbestätigung aus ist, um sich des Kunstwerks zu bemächtigen. Man erfährt, was man schon weiß. Man will gar nichts anderes erfahren, und man genießt diese Begegnung als eine, die einen nicht umstößt, sondern auf welke Weise bestätigt.
Diese Bestätigung läuft immer sehr eng mit der Person des Künstlers einher. Man erkennt ihn und seine Art zu arbeiten wieder und kann getrost abhaken. Wenn der Künstler seine Arbeit mit einem Wiedererkennungscharakter versieht, tut er nichts anderes, als diese schale Bestätigung hervorzurufen. Er verführt den Betrachter zur schnellen Akzeptanz.
Von diesem Prozess lebt der gesamte Kunstmarkt. Wiedererkennen ist das A und O der Vermarktung. Hier geht es nicht um den Gehalt einer Arbeit, unabhängig von der Person des Schöpfers, sondern um den Verkauf eines Markenzeichens, eines Personalstils, eines Künstlernamens.
Letztendlich ist die Markenzeichenkunst eine Folge zweier Fehlentwicklungen, die sich gegenseitig bedingen. Der Künstler steht unter dem Zwang, sein unverwechselbares Markenzeichen aufzubauen, um vom Markt erkannt zu werden. Der Markt wiederum stellt an den Künstler die Forderung eines Personalstils, der dann beibehalten werden soll, getreu nach dem Motto: »Schuster, bleib bei deinen Leisten – dann nehme ich dich ernst, denn mein Publikum möchte dich wiedererkennen und nicht verunsichert werden, da Letzteres den Verkauf behindert«.
2. Kunst als Markenzeichen
Es gibt heute kein Kunstwerk mehr ohne den Diskurs der Kritiken, ohne eine Werbestrategie. Letztendlich ist Kunst etwas, das durch Deklaration entsteht, d.h. Kritiker, Museumsleute und Galeristen ernennen etwas zur Kunst oder nicht.
Die Folge ist, dass viele Künstler taktieren und sich Strategien zulegen, um Anerkennung zu finden. So hat Kunst sich zur Betriebskunst gewandelt. Die Künstler produzieren für ein Fachpublikum und auf eine Kennerschaft hin. Das geht soweit, dass in vielen Arbeiten schon die Werbestrategien der Schöpfer zu erkennen sind.
In einer Zeit des ›anything goes‹, des Überangebots an künstlerischen Hervorbringungen, verspüren viele Künstler den Hang, sich ein unverwechselbares Markenzeichen zuzulegen, das dann vom Fachpublikum leichter bemerkt werden kann. Dahinter steht die Hoffnung, sich über den Wiedererkennungseffekt dauernd in Erinnerung zu rufen, um endlich im Markt angenommen zu werden. Hier hat der Schöpfer des Werkes eindeutig den experimentellen Weg der Kunst verlassen – zugunsten des Erfolges im Markt.
Die Methode ist immer die gleiche. Indem ein Künstler »seine einmalige Idee« laufend kopiert, versucht er seine Arbeit zum Markenzeichen hochzustilisieren. Dieser Prozess macht ihn zum Fachidioten seiner Idee. Er beschränkt seine Phantasie und Kreativität nur noch auf die Perfektionierung seines Einfalls, was mit Kunst nichts mehr zu tun hat. Sein einziges Ziel ist die Akzeptanz im Kunstmarkt, wo der Wiedererkennungswert der Werke (Markenzeichen) im Zusammenhang mit dem Namen der Künstlerperson an erster Stelle gefragt ist. Die Verkaufsstrategien laufen dann nur noch über den Namen und nicht über die Qualität der Arbeit.
Der Kunstmarkt wählt somit unbewusst die »Nicht-Künstler« unter den Künstlern aus. Kriterium ist das Prinzip des »sich treu bleiben« in seinem Personalstil. »Schuster, bleib bei deinen Leisten« heißt die Devise. Das nicht-kreative und damit nicht-künstlerische Konzept der laufenden Wiederholung eines persönlichen Markenzeichens dient als Auswahlkriterium, weil der Wiedererkennungswert für den Verkauf an erster Stelle steht.
Leider haben sich die Museen und großen Kunstvereine dieser Praxis angeschlossen, so dass heute nur noch die Künstlerpersonen gefeiert werden. Das Werk ist zur Nebensache verkommen. Es spricht nicht mehr für sich selbst, sondern dient der Erkennbarkeit des Schöpfers.
3. Die dauernde Wiederholung einer dünnen Idee – Kunst als Masche
In den Überschneidungszonen der großen künstlerischen Entwürfe der Neuzeit sind noch Lücken vorhanden. Lücken, die bewusst nicht bearbeitet wurden, weil sie für die zu machenden Aussagen nicht geeignet schienen oder im Tempo der Kunstinnovation übersehen wurden. Da es heute in der Bildenden Kunst keine Aussicht mehr auf etwas absolut Neues gibt, wird aus Frustration der Blick gerne zurückgeworfen und fällt dann auf diese unbearbeiteten Stellen. Sie werden bevorzugt von Künstlern besetzt, die darin eine Marktlücke erspäht zu haben glauben.
Der Blick auf diese Lücke, die Möglichkeit damit ein Markenzeichen zu kreieren, verhindert den Prozess der Auseinandersetzung darüber, ob diese Lücke überhaupt künstlerisch tauglich ist und einem aktuellen persönlichen Anliegen entspricht. Die Entdeckerfreude und die Aussicht auf Erfolg sind stärker, als die Lust an der Weiterentwicklung. Heerscharen von Künstlern reiten auf dieser Masche und versuchen damit ihr Glück – ein trügerisches Glück. Dabei handelt es sich nicht um die notwendige Durcharbeitung eines Themas, sondern um den einfallslosen Prozess der ewigen Wiederholung einer Idee zum Markenzeichen, um endlich im Markt angenommen zu werden. Aus Angst, nicht mehr glaubwürdig zu sein, wird diese Position dann nicht mehr verlassen, womit eine echte künstlerische Entwicklung verhindert wird.
Diese risikolose Haltung lähmt alles Subversive, sie stellt nichts mehr in Frage, notwendige Fehler, aus denen gelernt werden kann, kommen nicht mehr vor.
4. Zur Situation der Künstler
Es herrscht Mobilität bei gleichzeitigem Zögern. Die Künstler schwanken zwischen einem Gefühl von Gewinn und Verlust. Auf der einen Seite gab es noch nie solchen Reichtum an Möglichkeiten, andererseits hat diese Freiheit eine Steigerung der Beliebigkeit zur Folge und führt oft in eine Ästhetik des Banalen.
Der Überfluss an Kunst zwingt den Künstler zu seltsamen Verrenkungen. Er muss sich einem dauernden Zeigezwang unterwerfen, um Anerkennung für sein Werk zu finden und diese aufrechtzuerhalten. So sieht er sich in einer unentwirrbaren Falle gefangen. Er hat nur noch die Wahl zwischen selbstmörderischer Griesgrämigkeit oder wirtschaftlichem Erfolg, zwischen einer Verweigerungshaltung gegenüber dem Markt oder einem Mitläufertum. Er sieht sich gezwungen den Werbestrategien zu beugen und fühlt gleichzeitig den Verrat an der Kunst selbst.
Um die Arbeit vor zerstörerischen Marktmechanismen zu schützen und ihren Freiraum zu bewahren, scheint es deshalb immer wichtiger zu werden, dass Künstler ihre finanzielle Basis auf andere Beine stellen, als die des Kunstmarktes.
Um Kunst und Markt zu entflechten, müsste über völlig neue Wege von Kunstvermittlung nachgedacht werden. Wege, die andere Möglichkeiten der Finanzierung von Kunst aufzeigen. So könnte ein Freiraum entstehen, der dem Künstler die Zeit gibt, über sich selbst und seine eigene Arbeit nachdenken zu können. Der Künstler könnte sich den gesellschaftlichen Verwertungszwängen entziehen, ohne unproduktiv zu werden.
Es geht also nicht darum, die eigene Arbeit marktgerecht zu platzieren, sondern um den generellen Fortschritt der Kunst. Dieser ist nur möglich, wenn der Künstler sich zuallererst um die Zufriedenheit mit dem eigenen Produkt bemüht und nicht primär auf Markterfolge schielt, denn letzteres bedeutet immer eine Entfremdung gegenüber dem Produkt der eigenen Arbeit.
5. Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹
Schon der Ahnherr der modernen Materialkunst Marcel Duchamp forderte, dass man ein künstlerisches Prinzip nicht fortwährend wiederholen und zur Masche werden lassen solle. Das nehme ihm die kritische Kraft und kehre es in sein Gegenteil um. Und denkt man das weiter, scheint Duchamps Philosophie tatsächlich die einzige Chance zu sein, um zu verhindern, dass die Produktion von Kunstwerken ähnlich explodiert wie die der Warenwelt, und schließlich als Einwegverpackung auf der Halde landet.
In einer Zeit der schnellen Veränderung in allen Lebensbereichen mag zwar der Wunsch aufkommen, etwas Einmaliges und Unverwechselbares in die Welt zu setzen, jedoch ist dies der falsche Versuch, der keine Antworten gibt auf die jeweiligen Verhältnisse. Kunst ist ein Weg und nicht das Verharren auf einer Position.
Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹ ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Es beinhaltet ganz bewusst die Freiheit, Fehler zu machen und ein Risiko einzugehen, um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Es ist gegen ästhetische Erstarrung gerichtet und verabscheut den Identitätszwang des Marktes. Seine Triebfeder ist nicht die Aussicht auf Erfolg, sondern die Einsicht in den Sinn der künstlerischen Arbeit.
Im Zeitalter der Simulation an einem lebenslang gereiften Personalstil festzuhalten ist unzeitgemäß. Nicht das fortwährende Wiederholen einer Idee, nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert ist das Ziel, sondern visuelle Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Dieses Prinzip versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg. Es ist auch als künstlerisches Werkzeug zu verstehen, das der Perfektionierung entgegensteht.
Am Anfang steht immer eine aktuelle Situation oder ein Thema, das beim Künstler eine gedankliche Reaktion auslöst. Je nach künstlerischem Werdegang, Lebenslauf und Alter der Künstlerperson wird diese Reaktion verschieden (variabel) sein und zu unterschiedlichen Ideen führen. Entscheidend ist, dass die Ideen zugelassen werden und nicht durch äußere Zwänge beiseite geschoben werden. Die Verwirklichung einer künstlerischen Idee fordert eine schöpferische Antwort. Nur wenn die richtigen Mittel zur Umsetzung gefunden werden, kann die Idee sichtbar werden. Der Künstler ist also gezwungen, experimentell voranzugehen, d.h. mit unterschiedlichen Materialien und Medien zu operieren, bis er mit dem Produkt seiner Arbeit zufrieden ist. Diese Zufriedenheit darf nicht durch äußere Einflüsse aus dem Markt beeinträchtigt werden.
Das Konzept der ›Variablen Reaktion‹ braucht als Basis die Bereitschaft dem Heterogenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die lebbare Chance, ohne Angst verschieden sein zu können. Es dient der Abgrenzung vom allzu Stromlinienförmigen im Kunstmarktgeschehen und soll dem Zwang zur Per- fektion des Angepassten entgegenstehen.
Um dieses Konzept mit Leben zu erfüllen, ist es sinnvoll, allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ausgewählte aktuelle Themen zu bearbeiten, um dann das Ergebnis der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Unterschiedlichkeit der Themen zwingt die Künstler variabel zu reagieren, d.h. mit verschiedenen Ideen, Materialien und Medien zu operieren. Es kann Bild, Ton, Objekt, Performance, Installation etc. sein. Solch interdisziplinäre Arbeit dient sowohl der Weiterentwicklung des Künstlers, als auch dem generellen Fortschritt der Kunst. Sie hilft, eine ästhetische Erstarrung zu verhindern.
Das Ziel ist, zwischen den Stühlen zu tanzen und nicht auf ihnen zu sitzen. Für den kunstinteressierten Besucher soll immer ein Überraschungsmoment erhalten bleiben.
Weshalb so und nicht anders…
Ich arbeite multidisziplinär auf den Gebieten Fotografie, Digital Art, Malerei, Zeichnung, Installation, Objekte und Land Art. Da es bei mir kein festgelegtes Sujet gibt, bezeichne ich meine Vorgehensweise als »Variable Reaktion«.
Es war etwa um das Jahr 1995, als mir nach 20 Jahren künstlerischer Tätigkeit bewusst wurde, dass ich einem Prinzip gefolgt war, das von großen Teilen des Kunstmarktes abgelehnt wird. Wenn ich eine Serie beendet bzw. ein Thema durchgearbeitet hatte, habe ich dieses Feld verlassen und mich neuen Entwicklungen zugewandt. Diese Vorgehensweise habe ich bis heute beibehalten, weil sie meinem künstlerischen Naturell entspricht und ich nicht zum Fach-Spezialist eines eng begrenzten Themas oder eines Personalstils verkommen möchte. Aus Sicht des Kunsthandels sind Stile und Markenzeichenkunst natürlich viel leichter zu vermarkten, jedoch halte ich solche Positionen für nicht künstlerisch. Ich habe mir deshalb in den folgenden Jahren keine besondere Mühe gegeben, in diese Kreise aufgenommen zu werden. Es ging mir nicht darum, die eigene Arbeit marktgerecht zu platzieren, sondern um den generellen Fortschritt in meiner Kunst. Damals musste ich mich mit typischen Bemerkungen auseinandersetzen, wie »er hat seinen Stil oder seine Handschrift noch nicht gefunden«. Zum Glück habe ich mich von solchen Vorwürfen nicht beeinflussen lassen und bin meinen Weg weitergegangen. Heute weiß ich, dass dieser Weg immer das Ziel war und dass Kreativität noch immer das wesentliche Werkzeug in der Bildenden Kunst ist.
Inzwischen habe ich meinem Arbeitsprinzip einen Namen gegeben und nenne es die »Variable Reaktion«, getreu dem Motto »nicht auf den Stühlen zu sitzen, sondern zwischen ihnen zu tanzen.«
Die »Variable Reaktion« ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Sie ist gegen ästhetische Erstarrung, das Verharren auf einer Position und den Identitätszwang des Marktes gerichtet. Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Die »Variable Reaktion« versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg, welcher der Perfektionierung entgegensteht.
Klaus Bittner
Ich arbeite multidisziplinär auf den Gebieten Fotografie, Digital Art, Malerei, Zeichnung, Installation, Objekte und Land Art. Da es bei mir kein festgelegtes Sujet gibt, bezeichne ich meine Vorgehensweise als »Variable Reaktion«.
Es war etwa um das Jahr 1995, als mir nach 20 Jahren künstlerischer Tätigkeit bewusst wurde, dass ich einem Prinzip gefolgt war, das von großen Teilen des Kunstmarktes abgelehnt wird. Wenn ich eine Serie beendet bzw. ein Thema durchgearbeitet hatte, habe ich dieses Feld verlassen und mich neuen Entwicklungen zugewandt. Diese Vorgehensweise habe ich bis heute beibehalten, weil sie meinem künstlerischen Naturell entspricht und ich nicht zum Fach-Spezialist eines eng begrenzten Themas oder eines Personalstils verkommen möchte. Aus Sicht des Kunsthandels sind Stile und Markenzeichenkunst natürlich viel leichter zu vermarkten, jedoch halte ich solche Positionen für nicht künstlerisch. Ich habe mir deshalb in den folgenden Jahren keine besondere Mühe gegeben, in diese Kreise aufgenommen zu werden. Es ging mir nicht darum, die eigene Arbeit marktgerecht zu platzieren, sondern um den generellen Fortschritt in meiner Kunst. Damals musste ich mich mit typischen Bemerkungen auseinandersetzen, wie »er hat seinen Stil oder seine Handschrift noch nicht gefunden«. Zum Glück habe ich mich von solchen Vorwürfen nicht beeinflussen lassen und bin meinen Weg weitergegangen. Heute weiß ich, dass dieser Weg immer das Ziel war und dass Kreativität noch immer das wesentliche Werkzeug in der Bildenden Kunst ist.
Inzwischen habe ich meinem Arbeitsprinzip einen Namen gegeben und nenne es die »Variable Reaktion«, getreu dem Motto »nicht auf den Stühlen zu sitzen, sondern zwischen ihnen zu tanzen.«
Die »Variable Reaktion« ist eine Strategie zur Vermeidung identifizierbarer Kontinuität (Mobilitätsprinzip). Sie ist gegen ästhetische Erstarrung, das Verharren auf einer Position und den Identitätszwang des Marktes gerichtet. Nicht die Markenzeichenkunst mit Wiedererkennungswert, nicht der lebenslang gereifte Personalstil ist das Ziel, sondern kreative Vielseitigkeit, die die Veränderung des Ausdrucks zum Prinzip erhebt. Die »Variable Reaktion« versteht die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg, welcher der Perfektionierung entgegensteht.
Klaus Bittner
100 Jahre Kunst oder die Flucht ins Nichts?
Es war eine goldene Zeit für die Kunst - 70 Jahre lang. Sie ging mit Riesenschritten voran und entdeckte Neuland. Doch dann wurden ihre Schritte immer schneller, ihre Suche immer gieriger. Und als alles Neuland entdeckt war, da begann sie alte Tabus zu brechen und ihre Begriffe zu erweitern. Sie blähte sich in den folgenden 30 Jahren mächtig auf bis an die Grenzen ihrer selbst.
Da stand sie nun, ratlos vor ihrem eigenen Fortschrittswerk und hatte keine Utopien mehr. Und als ihr die Situation bewusst wurde, da fuhr ihr der Schrecken in die Glieder und sie begann vor sich selbst in alle Richtungen zu fliehen.
Sie flüchtete sich in die Realität und bemerkte, dass sie sich im Alltag aufzulösen drohte. Sie floh in die Vergangenheit und versuchte Schönheit, Maß, Ordnung und Harmonie der Klassik wieder zu finden. Sie flüchtete sich in Armut und Askese und versuchte sich hinter monochromen Farbflächen zu verbergen. Sie flüchtete sich in die Ästhetik des reinen Materials, um dort ihr Heil zu suchen. Sie flüchtete vor der Sinnlichkeit und befasste sich mit den abstrakten Zeichen der Sprache. Sie flüchtete sich in Wiederholungen ihrer selbst und schmückte sie mit neuen Titeln. Sie trat sogar die Flucht nach vorne an, in der Hoffnung ihren Kollaps über Kaufhauskitsch herbeizuführen.
Bei aller gebotenen Eile hatte sie noch Zeit, Ihren Fluchtwegen einen Namen zu verleihen. Sie nannte sie »Neo-Konstruktivismus«, »Neo-Konzept«, »Neo-Klassik«, Neo-Expressionismus«, »Neo-Pop«. Doch alles »Neo« half nichts, denn es gab ja nichts Neues mehr zu entdecken. Nachdem sie alle Wege vergeblich ausprobiert hatte und außer Atem war, musste sie eine Pause einlegen. Da steht sie nun heute - abgehetzt - und muss sich eingestehen, dass alles viel zu schnell ging, und dass die Geschwindigkeit ihr eigentlicher Feind war, den sie mit stetiger Beschleunigung zu bekämpfen suchte.
Was bleibt ihr also übrig als die Möglichkeiten, die sie sich erarbeitet hat, noch einmal zu überprüfen, ernst und frivol, spielerisch und bisweilen voller Verzweiflung. Vor allem muss sie sich besinnen und zur Ruhe kommen, ihren Platz als Freizeitunterhalterin aufgeben, sich vom Zeigezwang befreien, sich ein Stück aus der Öffentlichkeit zurückziehen an die Entstehungsorte ihrer Erfindungen. Vielleicht wird ihr bewusst, dass Geschwindigkeit nur Leere hervorruft, welche wiederum zur Eile antreibt. Vielleicht ist sie es, die ein Mittel gegen die Beschleunigung der Prozesse findet. Vielleicht erwächst ihr die Aufgabe, die Menschen von der wachsenden Simulation zur Lebenswirklichkeit zurückzuführen. Vielleicht kann sie wieder eine wichtige Position als gesellschaftliche Vorkämpferin einnehmen - vielleicht.
Klaus Bittner
Es war eine goldene Zeit für die Kunst - 70 Jahre lang. Sie ging mit Riesenschritten voran und entdeckte Neuland. Doch dann wurden ihre Schritte immer schneller, ihre Suche immer gieriger. Und als alles Neuland entdeckt war, da begann sie alte Tabus zu brechen und ihre Begriffe zu erweitern. Sie blähte sich in den folgenden 30 Jahren mächtig auf bis an die Grenzen ihrer selbst.
Da stand sie nun, ratlos vor ihrem eigenen Fortschrittswerk und hatte keine Utopien mehr. Und als ihr die Situation bewusst wurde, da fuhr ihr der Schrecken in die Glieder und sie begann vor sich selbst in alle Richtungen zu fliehen.
Sie flüchtete sich in die Realität und bemerkte, dass sie sich im Alltag aufzulösen drohte. Sie floh in die Vergangenheit und versuchte Schönheit, Maß, Ordnung und Harmonie der Klassik wieder zu finden. Sie flüchtete sich in Armut und Askese und versuchte sich hinter monochromen Farbflächen zu verbergen. Sie flüchtete sich in die Ästhetik des reinen Materials, um dort ihr Heil zu suchen. Sie flüchtete vor der Sinnlichkeit und befasste sich mit den abstrakten Zeichen der Sprache. Sie flüchtete sich in Wiederholungen ihrer selbst und schmückte sie mit neuen Titeln. Sie trat sogar die Flucht nach vorne an, in der Hoffnung ihren Kollaps über Kaufhauskitsch herbeizuführen.
Bei aller gebotenen Eile hatte sie noch Zeit, Ihren Fluchtwegen einen Namen zu verleihen. Sie nannte sie »Neo-Konstruktivismus«, »Neo-Konzept«, »Neo-Klassik«, Neo-Expressionismus«, »Neo-Pop«. Doch alles »Neo« half nichts, denn es gab ja nichts Neues mehr zu entdecken. Nachdem sie alle Wege vergeblich ausprobiert hatte und außer Atem war, musste sie eine Pause einlegen. Da steht sie nun heute - abgehetzt - und muss sich eingestehen, dass alles viel zu schnell ging, und dass die Geschwindigkeit ihr eigentlicher Feind war, den sie mit stetiger Beschleunigung zu bekämpfen suchte.
Was bleibt ihr also übrig als die Möglichkeiten, die sie sich erarbeitet hat, noch einmal zu überprüfen, ernst und frivol, spielerisch und bisweilen voller Verzweiflung. Vor allem muss sie sich besinnen und zur Ruhe kommen, ihren Platz als Freizeitunterhalterin aufgeben, sich vom Zeigezwang befreien, sich ein Stück aus der Öffentlichkeit zurückziehen an die Entstehungsorte ihrer Erfindungen. Vielleicht wird ihr bewusst, dass Geschwindigkeit nur Leere hervorruft, welche wiederum zur Eile antreibt. Vielleicht ist sie es, die ein Mittel gegen die Beschleunigung der Prozesse findet. Vielleicht erwächst ihr die Aufgabe, die Menschen von der wachsenden Simulation zur Lebenswirklichkeit zurückzuführen. Vielleicht kann sie wieder eine wichtige Position als gesellschaftliche Vorkämpferin einnehmen - vielleicht.
Klaus Bittner
Zur Wirksamkeit von Kunst
Der aktuelle Kunstbetrieb versteht es nach wie vor, sich von großen Teilen der Gesellschaft abzugrenzen, indem er das Publikum einteilt in solche, die »verstehen« und solche, die »nicht verstehen«. Als Werkzeug dient die Kunsttheorie. Wer ihr folgt, kann die aktuelle Kunst verstehen lernen und sich in den Kreis der Erlauchten des Kunstbetriebes einreihen. Die Künstler wiederum versuchen alles, um in diesen Zirkel aufgenommen zu werden. Sie produzieren auf ein Fachpublikum und auf eine Kennerschaft hin. Namhafte Künstler sind solche, die in den Kreis des Kunstbetriebes aufgenommen wurden und dort gefeiert werden. Gesellschaftlich gesehen bewegen diese Künstler nichts mehr, da sie nur zur Bestätigung des Vorausgedachten eines eingeweihten Zirkels dienen.
Ganz anders verhält es sich mit der Wirkung derjenigen Künstler, die sich im Grenzbereich zwischen den »Verstehenden« und den »Nicht-Verstehenden« bewegen. Sie setzen sich vielmehr einer Kritik aus, welche die Dinge in Bewegung bringt. An der Nahtstelle zwischen dem abgegrenzten Territorium der Eingeweihten und dem der Nicht-Dazugehörigen ist die Wirksamkeit von Kunst am größten. Dort löst das Werk noch eine Diskussion aus, weil das Publikum aus zwei unterschiedlichen Lagern besteht, die beide glauben zu wissen.
Ist der Künstler in das Lager der »Fach-Spezialisten« einmal aufgenommen, kann er nur zu deren eingeübten Kunstgenuß beitragen. Sie erfahren, was sie schon wissen, sie wollen gar nichts anderes erfahren und sie genießen diese Begegnung als eine, die sie nicht umstößt, sondern auf welke Weise bestätigt. Sie haben dem Künstler den Stachel entzogen und geben ihm Ruhm und Geld dafür.
Klaus Bittner
Der aktuelle Kunstbetrieb versteht es nach wie vor, sich von großen Teilen der Gesellschaft abzugrenzen, indem er das Publikum einteilt in solche, die »verstehen« und solche, die »nicht verstehen«. Als Werkzeug dient die Kunsttheorie. Wer ihr folgt, kann die aktuelle Kunst verstehen lernen und sich in den Kreis der Erlauchten des Kunstbetriebes einreihen. Die Künstler wiederum versuchen alles, um in diesen Zirkel aufgenommen zu werden. Sie produzieren auf ein Fachpublikum und auf eine Kennerschaft hin. Namhafte Künstler sind solche, die in den Kreis des Kunstbetriebes aufgenommen wurden und dort gefeiert werden. Gesellschaftlich gesehen bewegen diese Künstler nichts mehr, da sie nur zur Bestätigung des Vorausgedachten eines eingeweihten Zirkels dienen.
Ganz anders verhält es sich mit der Wirkung derjenigen Künstler, die sich im Grenzbereich zwischen den »Verstehenden« und den »Nicht-Verstehenden« bewegen. Sie setzen sich vielmehr einer Kritik aus, welche die Dinge in Bewegung bringt. An der Nahtstelle zwischen dem abgegrenzten Territorium der Eingeweihten und dem der Nicht-Dazugehörigen ist die Wirksamkeit von Kunst am größten. Dort löst das Werk noch eine Diskussion aus, weil das Publikum aus zwei unterschiedlichen Lagern besteht, die beide glauben zu wissen.
Ist der Künstler in das Lager der »Fach-Spezialisten« einmal aufgenommen, kann er nur zu deren eingeübten Kunstgenuß beitragen. Sie erfahren, was sie schon wissen, sie wollen gar nichts anderes erfahren und sie genießen diese Begegnung als eine, die sie nicht umstößt, sondern auf welke Weise bestätigt. Sie haben dem Künstler den Stachel entzogen und geben ihm Ruhm und Geld dafür.
Klaus Bittner
Wie kalkuliere ich den Preis für ein Kunstwerk?
Der Preis wird von vielen unterschiedlichen Faktoren bestimmt, die je nach Gewichtung groß oder klein sein können.
1) Ideeller Wert: Der Künstler bestimmt nach seiner individuellen Beurteilung, ob es sich um ein besonders herausragendes Werk, ein Werk von durchschnittlicher oder minderer Qualität handelt.
2) Arbeitsmaterial: Papier, Leinwand, Farben, Pinsel, Rahmen, Materialien für Installationen etc. Diese Kosten müssen unbedingt in die Preisgestaltung einfließen.
3) Arbeitszeit: Je nach Art der Arbeit kann die Arbeitszeit lang oder kurz sein. Dies sagt zwar meistens nichts über die Qualität des Werkes aus, sollte jedoch in die Preisgestaltung einbezogen werden.
4) Werkgröße: Dieses Kriterium hat zwangsläufig Einfluss auf die Faktoren Arbeitszeit und Arbeitsmaterial. Deshalb wird in der Regel der Preis mit der Größe des Werkes auch steigen.
5) Entwicklungskosten: Wenn man kein weltberühmter Künstler ist, wird ca. 90% der Kunstproduktion auf Halde gelegt und gelangt nicht in den Verkauf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Arbeit nutzlos war. Im Gegenteil, sie dient der Weiterentwicklung des Künstlers und damit der Verbesserung seiner Werke. Wie im normalen Leben, sollten die Entwicklungskosten für das Produkt „Kunst“ im Preis enthalten sein.
6) Die Stellung im Kunstmarkt: Der Künstler kann eine Beurteilung seiner Stellung im Kunstmarkt vornehmen und dies in die Preisgestaltung einfließen lassen. Wo ist er im Kunstmarkt tätig und in welcher Form? Wie groß ist sein Bekanntheitsgrad, regional oder überregional? Stellt er regelmäßig aus und auf welcher Ebene (Museum, Galerie, Kunstverein oder im Weinlokal um die Ecke)? Zwar sind diese Faktoren in der Regel nicht geeignet die Qualität eines Kunstwerkes zu beurteilen, jedoch werden die Preise im Kunstmarkt (leider) nur noch von solchen Kriterien bestimmt. Hier sollte jeder Künstler für sich selbst entscheiden, in welchem Maße er diese Beurteilung seiner Stellung im Markt in die Preisfindung einbezieht.
7) Ateliermiete und Werbungskosten: Auch hier gilt, was im Konsumgüterbereich üblich ist. Diese Kosten sollten anteilig enthalten sein.
8) Vergleich mit Konsumgütern in ähnlicher Preislage: Bei der Preisverhandlung mit einem potentiellen Käufer, sollte dieser unbedingt auf die Tatsache hingewiesen werden, dass er beim Kauf einer Ware mit dem Kaufhaus nicht handelt und ohne Diskussion den verlangten Preis bezahlt. Der Verhandlungsspielraum sollte also entsprechend klein gehalten werden. Auch sollte dem Käufer bewusst gemacht werden, dass er die gleiche Menge Geld beim Kauf eines Gebrauchsgegenstandes (z.B. Waschmaschine oder Möbel) ohne Skrupel aufbringt. Er sollte also möglichst beim Erwerb eines Kunstwerkes eine ähnliche Denkweise an den Tag legen.
9) Zeitdauer der Befriedigung durch „Betrachten und Besitz“: Man sollte dem Käufer klar machen, dass seine neue Waschmaschine in der Regel nach 10 Jahren ihren Geist aufgibt, er sich aber am Kunstwerk unendlich lange erfreuen kann, was unbezahlbar ist.
Klaus Bittner
Der Preis wird von vielen unterschiedlichen Faktoren bestimmt, die je nach Gewichtung groß oder klein sein können.
1) Ideeller Wert: Der Künstler bestimmt nach seiner individuellen Beurteilung, ob es sich um ein besonders herausragendes Werk, ein Werk von durchschnittlicher oder minderer Qualität handelt.
2) Arbeitsmaterial: Papier, Leinwand, Farben, Pinsel, Rahmen, Materialien für Installationen etc. Diese Kosten müssen unbedingt in die Preisgestaltung einfließen.
3) Arbeitszeit: Je nach Art der Arbeit kann die Arbeitszeit lang oder kurz sein. Dies sagt zwar meistens nichts über die Qualität des Werkes aus, sollte jedoch in die Preisgestaltung einbezogen werden.
4) Werkgröße: Dieses Kriterium hat zwangsläufig Einfluss auf die Faktoren Arbeitszeit und Arbeitsmaterial. Deshalb wird in der Regel der Preis mit der Größe des Werkes auch steigen.
5) Entwicklungskosten: Wenn man kein weltberühmter Künstler ist, wird ca. 90% der Kunstproduktion auf Halde gelegt und gelangt nicht in den Verkauf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Arbeit nutzlos war. Im Gegenteil, sie dient der Weiterentwicklung des Künstlers und damit der Verbesserung seiner Werke. Wie im normalen Leben, sollten die Entwicklungskosten für das Produkt „Kunst“ im Preis enthalten sein.
6) Die Stellung im Kunstmarkt: Der Künstler kann eine Beurteilung seiner Stellung im Kunstmarkt vornehmen und dies in die Preisgestaltung einfließen lassen. Wo ist er im Kunstmarkt tätig und in welcher Form? Wie groß ist sein Bekanntheitsgrad, regional oder überregional? Stellt er regelmäßig aus und auf welcher Ebene (Museum, Galerie, Kunstverein oder im Weinlokal um die Ecke)? Zwar sind diese Faktoren in der Regel nicht geeignet die Qualität eines Kunstwerkes zu beurteilen, jedoch werden die Preise im Kunstmarkt (leider) nur noch von solchen Kriterien bestimmt. Hier sollte jeder Künstler für sich selbst entscheiden, in welchem Maße er diese Beurteilung seiner Stellung im Markt in die Preisfindung einbezieht.
7) Ateliermiete und Werbungskosten: Auch hier gilt, was im Konsumgüterbereich üblich ist. Diese Kosten sollten anteilig enthalten sein.
8) Vergleich mit Konsumgütern in ähnlicher Preislage: Bei der Preisverhandlung mit einem potentiellen Käufer, sollte dieser unbedingt auf die Tatsache hingewiesen werden, dass er beim Kauf einer Ware mit dem Kaufhaus nicht handelt und ohne Diskussion den verlangten Preis bezahlt. Der Verhandlungsspielraum sollte also entsprechend klein gehalten werden. Auch sollte dem Käufer bewusst gemacht werden, dass er die gleiche Menge Geld beim Kauf eines Gebrauchsgegenstandes (z.B. Waschmaschine oder Möbel) ohne Skrupel aufbringt. Er sollte also möglichst beim Erwerb eines Kunstwerkes eine ähnliche Denkweise an den Tag legen.
9) Zeitdauer der Befriedigung durch „Betrachten und Besitz“: Man sollte dem Käufer klar machen, dass seine neue Waschmaschine in der Regel nach 10 Jahren ihren Geist aufgibt, er sich aber am Kunstwerk unendlich lange erfreuen kann, was unbezahlbar ist.
Klaus Bittner
Vernissage Frankfurt 1994 (Text: Peter Schäck)
Eröffnungsrede im Atelier U4 frAnkfuRT
Beide Künstler: schwarzer Anzug und weiße Handschuhe. Peter Schäck (PS) hält die Eröffnungsrede als Teil der Performance. Zwischendurch trinkt er zähflüssigen Honig aus einem Glas. Klaus Bittner (KB) macht den anderen Teil der Performance. Während der Eröffnungsrede gießt er den Apfelwein in die Gläser auf den Säulen und hängt die Brezeln in die Rahmen an den Wänden. Danach klebt er 100 Zettel mit Kunstbegriffen auf die Säulen und auf die Stirn der Besucher, legt unter Schmerzen ein Kunst-Ei und er reagiert auf die Rede von Peter Schäck mit lauten Zwischenrufen (fett markiert).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kunst Händler Kunst Kritiker Kunst Honig Kunst Theorie, Liebe Kunstfreunde.
Lassen Sie mich bitte zum Anfang meiner Rede meine Freude über Ihr zahlreiches Erscheinen ausdrücken und ersparen Sie mir und Ihnen das Ritual der endlosen persönlichen Begrüßungen. Belassen wir es bei einem pauschalen, doch nicht weniger herzlichen - »Willkommen allerseits!«
1888: war es das linke oder das rechte Ohr von van Gogh?
Einige von Ihnen kennen sich sicherlich schon von anderen Vernissagen, mit anderen werden Sie heute ins Gespräch kommen, und vielleicht ergibt es sich ja diesmal, daß Sie heute den einen oder anderen Hinweis bekommen in welcher Richtung Sie sich auf die Suche nach der Antwort machen sollten, der Antwort auf die Frage, die uns zeitgenössische Vernissage- besucher ob am Schminktisch oder vor dem Kleiderschrank, auf der Toillette oder bei der obligatorischen Suche nach dem Haus- oder Autoschlüssel,
1900-1906: Cezanne öffnet das Tor zur Moderne
zwischen wichtigen Grundsatzentscheidungen wie (»Schatz, meinst du ich sollte heute vielleicht das blaue...« ? Nein, das hattest du doch schon vorige Woche bei Gierig...«) und Alltagsproblemen wie (»Liebling, das Papier ist alle! Sei doch bitte so nett und...«) kurz vor dem Verlassen der Wohnung regelmäßig oder sporadisch heimsucht und ein banges Gefühl des Zweifels hinterläßt, die Frage: Was ist eigentlich KUNST?
1914: Duchamp hängt Flaschentrockner ins Museum
und später, angesichts der ausgestellten Bilder und Objekte: Ist das noch KUNST?
1916: DADA DADA DADA – Manifest
Vorbei scheint jedenfalls die Zeit, da Maltechniken und kompositorische Regeln Hinweise auf mögliche Antworten geben konnten.
Picasso - der erste Künstler der variablen Reaktion
Im Zeitalter der Reproduktionstechniken und Computer-Simulationen erscheinen Pinsel und Leinwand wie steinzeitliche Faustkeile und der PC von gestern kann mit dem Prozessor von morgen schon nicht mehr Schritt halten.
1969: New York Meilensteine – Video-Paik, LandArt-Long, Computer-Cage
Gemeinsam mit den Medien produzieren heute ganze Industriezweige eine Springflut sinnentleerter Bilder, die sich alle nur noch einem einzigen Zweck unterwerfen - den Alltag der Städte zu ästhetisieren, den verlorenen Sinn zu kaschieren.
Beuys empfIehlt die Erhöhung der Berliner Mauer um fünf Zentimeter
ZERO – 1963: Berlin - Ücker nagelt heute nur noch selten
Zu schnell jedoch verliert sich der schöne Schein und unter der Tünche des scheinbar Schönen taucht die Fratze des Banalen auf, die Angst macht und deren Flüstern schnell im Gebrüll einer neuen Bilderflut
1978: Nur noch Wilde in Deutschland
erstickt wird. Ein Karussell, das sich immer schneller dreht und ein beängstigendes Schwindelgefühl hervorruft: Wo ist ein Punkt zum festhalten? Reduktion ist angesagt: »Der Kunstmarkt bietet monochrome, leichtstrukturierte großflächige Bilder an. Klare Linien, Geometrie, reduzierte Zeichen.«
Die Verschnaufpause wird dankbar aufgenommen – bis die Ahnung der aufkommenden Leere, überspielt durch die Attitüde des Gelangweiltseins, nach neuen Kicks ruft:
1981: Baselitz stellt seine Figuren auf den Kopf
Alles einsteigen! Das Karussell fährt wieder an. – Ein Glück man spürt wieder Bauch! Für ein paar Jahre sind die neuen Wilden als Designerdroge der Kulturjunkies angesagt, bis sie wieder, das Barometer sinkt auf »megaout«, einer neuen Sachlichkeitswelle platzmachen müssen.
1962: Andy und die Suppendose
Der Raum strahlt Ruhe aus, ist fensterlos, nichts Störendes kann von außen eindringen. – Vier (oder waren es fünf?) gleichgroße, verschiedenfarbige Rechtecke werden von hinten beleuchtet und von ein paar dutzend erleuchteten Vernissagebesuchern von vorne beäugt. Dunkle, klumpige Schatten erheben sich vor dem farbigen Untergrund. Man tritt näher, beugt sich vor: »Der Künstler hat in einem eigens von ihm entwickelten Verfahren elektrostatisch geladene Pigmente Schicht für Schicht...« Ein selbstgestelltes Rätsel ist gelöst, man gehört zu den Eingeweihten.
1983: Jeder Mernsch ein Künstler! Der Beuys'sche Utopismus geht über in die Katastrophenmythologie Anselm Kiefers – Tapies bleibt sich treu.
Nebenan kann man das neu Erlernte bei Apfelwein und Brezel auf die Probe stellen und hat Gelegenheit zu zeigen, was man sonst noch alles weiß: »Das erinnert mich an Basel – ich weiß nicht, ob Sie die Retrospektive.... also bahnbrechend!« oder »Das bleibt doch alles meilenweit hinter Beuys zurück«
1973: Rheinüberquerung
Angesichts dieser desolaten Situation kann sich das gute alte Stilleben des 19.Jahrhunderts nur noch übergeben. Mit der Geschwindigkeit moderner Karusselle ist es hoffnungslos überfordert, löst sich auf in die Bestandteile seiner Zusammensetzung und mischt sich verschämt unter die Werkzeuge, mit Hilfe derer es einst kreiert wurde: ein Kunst-Buffet mit dem Prädikat »absolut ungenießbar«.
1980: William Wegemann bringt die Kunst auf den Hund Man Ray
Doch was kann die Kunst der Vereinnahmung der Ästhetik entgegensetzen, wenn selbst die Provokation und der Zynismus zur verkaufsfördernden Masche für feinmaschig Gewebtes und Grobgestricktes der vereinigten Farben von Beneton wird. Zurück zum »Wahren, Schönen, Guten«, wie das Portal eines Frankfurter Kulturtempels vorschlägt. Das wirkt deplaziert, beruhigt nur einfache geschichtslose Gemüter und wird – als millionenschwer übertünchtes Mahnmal der Zerstörungswut zweier Weltkriege – bestenfalls zum unfreiwilligen Zynismus.
1968: Arnulf Rainer übermalt Christus
1991: Kiefer wird vom Thron gestoßen
Das amerikanische Lachen von Jeff Koons....
Vielleicht sollten wir uns zuweilen auf die Kraft des Humors besinnen, laut Lexikon jene Mischung der Körpersäfte (lat. humores), die die Beschaffenheit der Stimmungen und Gemütsbewegungen steuern und uns dem Lachen hingeben, »eine« wieder laut Lexikon »der wichtigsten Formen, sich anderen Menschen gefühlsmäßig mitzuteilen«.
KUNST – was ist das?
KUNST – ist was das?
KUNST – das ist was?
KUNST – was das ist?
KUNST – das was ist!
und wir finden uns dabei in bester Gesellschaft.
So erinnert sich Anatol an die Zeit mit Joseph Beuys: Wir haben jeden Tag unheimlich gelacht. Und laut seinem ersten Galeristen, Helmut Rywelski, hat Beuys die Nachricht, seine Arbeiten seien in alle Welt verkauft worden, zu wahren Heiterkeitsstürmen hingerissen: ...er konnte lachen wie ein Pferd.
Ernst ist die Kunst – heiter das Leben.
Ernst ist das Leben – heiter die Kunst.
Die Kunst ist tot – es lebe die Kunst.
Leben ist Kunst – Kunst ist Leben.
Kunst ist Lebensmittel
Für heute Abend jedenfalls haben wir (»tomorow is canceled to the lack of interest«) jenes obskure Objekt der Begierde vieler Frankfurter Vernissagen zur Kunst erklärt: die Brezel und den Apfelwein im klassischen »Gerippten« – nicht nur weil seine Genießbarkeit auf vielen jener oben erwähnten kulturellen Geselligkeiten unter Beweis gestellt wurde, sondern auch und gerade weil wir meinen, daß Form und Farbe des Gebäcks und des Getränks in seinem traditionellen Gefäß durchaus einer genaueren ästhetischen Betrachtung wert sind.
Kurz: Wir wollten, daß Sie sich vorher erst einmal anschauen, was zu genießen wir Sie jetzt herzlich einladen.
PS: KUNST IST DOCH GENUSS!??!
KB: JAWOLL??! – oder?
PS: Ach was!?!
Eröffnungsrede im Atelier U4 frAnkfuRT
Beide Künstler: schwarzer Anzug und weiße Handschuhe. Peter Schäck (PS) hält die Eröffnungsrede als Teil der Performance. Zwischendurch trinkt er zähflüssigen Honig aus einem Glas. Klaus Bittner (KB) macht den anderen Teil der Performance. Während der Eröffnungsrede gießt er den Apfelwein in die Gläser auf den Säulen und hängt die Brezeln in die Rahmen an den Wänden. Danach klebt er 100 Zettel mit Kunstbegriffen auf die Säulen und auf die Stirn der Besucher, legt unter Schmerzen ein Kunst-Ei und er reagiert auf die Rede von Peter Schäck mit lauten Zwischenrufen (fett markiert).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kunst Händler Kunst Kritiker Kunst Honig Kunst Theorie, Liebe Kunstfreunde.
Lassen Sie mich bitte zum Anfang meiner Rede meine Freude über Ihr zahlreiches Erscheinen ausdrücken und ersparen Sie mir und Ihnen das Ritual der endlosen persönlichen Begrüßungen. Belassen wir es bei einem pauschalen, doch nicht weniger herzlichen - »Willkommen allerseits!«
1888: war es das linke oder das rechte Ohr von van Gogh?
Einige von Ihnen kennen sich sicherlich schon von anderen Vernissagen, mit anderen werden Sie heute ins Gespräch kommen, und vielleicht ergibt es sich ja diesmal, daß Sie heute den einen oder anderen Hinweis bekommen in welcher Richtung Sie sich auf die Suche nach der Antwort machen sollten, der Antwort auf die Frage, die uns zeitgenössische Vernissage- besucher ob am Schminktisch oder vor dem Kleiderschrank, auf der Toillette oder bei der obligatorischen Suche nach dem Haus- oder Autoschlüssel,
1900-1906: Cezanne öffnet das Tor zur Moderne
zwischen wichtigen Grundsatzentscheidungen wie (»Schatz, meinst du ich sollte heute vielleicht das blaue...« ? Nein, das hattest du doch schon vorige Woche bei Gierig...«) und Alltagsproblemen wie (»Liebling, das Papier ist alle! Sei doch bitte so nett und...«) kurz vor dem Verlassen der Wohnung regelmäßig oder sporadisch heimsucht und ein banges Gefühl des Zweifels hinterläßt, die Frage: Was ist eigentlich KUNST?
1914: Duchamp hängt Flaschentrockner ins Museum
und später, angesichts der ausgestellten Bilder und Objekte: Ist das noch KUNST?
1916: DADA DADA DADA – Manifest
Vorbei scheint jedenfalls die Zeit, da Maltechniken und kompositorische Regeln Hinweise auf mögliche Antworten geben konnten.
Picasso - der erste Künstler der variablen Reaktion
Im Zeitalter der Reproduktionstechniken und Computer-Simulationen erscheinen Pinsel und Leinwand wie steinzeitliche Faustkeile und der PC von gestern kann mit dem Prozessor von morgen schon nicht mehr Schritt halten.
1969: New York Meilensteine – Video-Paik, LandArt-Long, Computer-Cage
Gemeinsam mit den Medien produzieren heute ganze Industriezweige eine Springflut sinnentleerter Bilder, die sich alle nur noch einem einzigen Zweck unterwerfen - den Alltag der Städte zu ästhetisieren, den verlorenen Sinn zu kaschieren.
Beuys empfIehlt die Erhöhung der Berliner Mauer um fünf Zentimeter
ZERO – 1963: Berlin - Ücker nagelt heute nur noch selten
Zu schnell jedoch verliert sich der schöne Schein und unter der Tünche des scheinbar Schönen taucht die Fratze des Banalen auf, die Angst macht und deren Flüstern schnell im Gebrüll einer neuen Bilderflut
1978: Nur noch Wilde in Deutschland
erstickt wird. Ein Karussell, das sich immer schneller dreht und ein beängstigendes Schwindelgefühl hervorruft: Wo ist ein Punkt zum festhalten? Reduktion ist angesagt: »Der Kunstmarkt bietet monochrome, leichtstrukturierte großflächige Bilder an. Klare Linien, Geometrie, reduzierte Zeichen.«
Die Verschnaufpause wird dankbar aufgenommen – bis die Ahnung der aufkommenden Leere, überspielt durch die Attitüde des Gelangweiltseins, nach neuen Kicks ruft:
1981: Baselitz stellt seine Figuren auf den Kopf
Alles einsteigen! Das Karussell fährt wieder an. – Ein Glück man spürt wieder Bauch! Für ein paar Jahre sind die neuen Wilden als Designerdroge der Kulturjunkies angesagt, bis sie wieder, das Barometer sinkt auf »megaout«, einer neuen Sachlichkeitswelle platzmachen müssen.
1962: Andy und die Suppendose
Der Raum strahlt Ruhe aus, ist fensterlos, nichts Störendes kann von außen eindringen. – Vier (oder waren es fünf?) gleichgroße, verschiedenfarbige Rechtecke werden von hinten beleuchtet und von ein paar dutzend erleuchteten Vernissagebesuchern von vorne beäugt. Dunkle, klumpige Schatten erheben sich vor dem farbigen Untergrund. Man tritt näher, beugt sich vor: »Der Künstler hat in einem eigens von ihm entwickelten Verfahren elektrostatisch geladene Pigmente Schicht für Schicht...« Ein selbstgestelltes Rätsel ist gelöst, man gehört zu den Eingeweihten.
1983: Jeder Mernsch ein Künstler! Der Beuys'sche Utopismus geht über in die Katastrophenmythologie Anselm Kiefers – Tapies bleibt sich treu.
Nebenan kann man das neu Erlernte bei Apfelwein und Brezel auf die Probe stellen und hat Gelegenheit zu zeigen, was man sonst noch alles weiß: »Das erinnert mich an Basel – ich weiß nicht, ob Sie die Retrospektive.... also bahnbrechend!« oder »Das bleibt doch alles meilenweit hinter Beuys zurück«
1973: Rheinüberquerung
Angesichts dieser desolaten Situation kann sich das gute alte Stilleben des 19.Jahrhunderts nur noch übergeben. Mit der Geschwindigkeit moderner Karusselle ist es hoffnungslos überfordert, löst sich auf in die Bestandteile seiner Zusammensetzung und mischt sich verschämt unter die Werkzeuge, mit Hilfe derer es einst kreiert wurde: ein Kunst-Buffet mit dem Prädikat »absolut ungenießbar«.
1980: William Wegemann bringt die Kunst auf den Hund Man Ray
Doch was kann die Kunst der Vereinnahmung der Ästhetik entgegensetzen, wenn selbst die Provokation und der Zynismus zur verkaufsfördernden Masche für feinmaschig Gewebtes und Grobgestricktes der vereinigten Farben von Beneton wird. Zurück zum »Wahren, Schönen, Guten«, wie das Portal eines Frankfurter Kulturtempels vorschlägt. Das wirkt deplaziert, beruhigt nur einfache geschichtslose Gemüter und wird – als millionenschwer übertünchtes Mahnmal der Zerstörungswut zweier Weltkriege – bestenfalls zum unfreiwilligen Zynismus.
1968: Arnulf Rainer übermalt Christus
1991: Kiefer wird vom Thron gestoßen
Das amerikanische Lachen von Jeff Koons....
Vielleicht sollten wir uns zuweilen auf die Kraft des Humors besinnen, laut Lexikon jene Mischung der Körpersäfte (lat. humores), die die Beschaffenheit der Stimmungen und Gemütsbewegungen steuern und uns dem Lachen hingeben, »eine« wieder laut Lexikon »der wichtigsten Formen, sich anderen Menschen gefühlsmäßig mitzuteilen«.
KUNST – was ist das?
KUNST – ist was das?
KUNST – das ist was?
KUNST – was das ist?
KUNST – das was ist!
und wir finden uns dabei in bester Gesellschaft.
So erinnert sich Anatol an die Zeit mit Joseph Beuys: Wir haben jeden Tag unheimlich gelacht. Und laut seinem ersten Galeristen, Helmut Rywelski, hat Beuys die Nachricht, seine Arbeiten seien in alle Welt verkauft worden, zu wahren Heiterkeitsstürmen hingerissen: ...er konnte lachen wie ein Pferd.
Ernst ist die Kunst – heiter das Leben.
Ernst ist das Leben – heiter die Kunst.
Die Kunst ist tot – es lebe die Kunst.
Leben ist Kunst – Kunst ist Leben.
Kunst ist Lebensmittel
Für heute Abend jedenfalls haben wir (»tomorow is canceled to the lack of interest«) jenes obskure Objekt der Begierde vieler Frankfurter Vernissagen zur Kunst erklärt: die Brezel und den Apfelwein im klassischen »Gerippten« – nicht nur weil seine Genießbarkeit auf vielen jener oben erwähnten kulturellen Geselligkeiten unter Beweis gestellt wurde, sondern auch und gerade weil wir meinen, daß Form und Farbe des Gebäcks und des Getränks in seinem traditionellen Gefäß durchaus einer genaueren ästhetischen Betrachtung wert sind.
Kurz: Wir wollten, daß Sie sich vorher erst einmal anschauen, was zu genießen wir Sie jetzt herzlich einladen.
PS: KUNST IST DOCH GENUSS!??!
KB: JAWOLL??! – oder?
PS: Ach was!?!